Die Arbeit von Wilhelm Nowack wird nur verständlich, wenn man sich ein wenig der Geschichte des Universität Straßburg widmet. Die nachfolgenden, auf das allernotwendigste beschränkten Zitierungen zeigen aber, wie sich das Universitätsleben in Straßburg entwickelt hat und in welch wichtiger Periode dieser Geschichte Wilhelm Nowack dort mitwirkte, wie immer man sein Wirken im konkreten Falle beurteilen mag.
Die Berufung
Dem Nachruf von 1928 ist zur Lebenszeit von Wilhelm Nowack in Straßburg zu entnehmen, dass seine Berufung an die dortige Universität ein größerer Akt war, der nach den Erläuterungen zur Rolle der Universität aber zumindest nachvollziehbar ist:
„Die entscheidende Wendung in seinem Leben brachte im Herbst 1881 die Berufung als Ordinarius nach Straßburg. Er folgte hier dem nach Marburg übersiedelnden Grafen Baudissin.
Mit beider Berufung hatte es eine merkwürdige Bewandtnis. Die Fakultät hatte einen zweiten Kirchenhistoriker gebraucht und 1876 zu diesem Behufe den Leipziger Privatdozenten Adolf Harnack als Extraordinarius erbeten. Durch eine in Berlin sich abspielende kirchenpolitische Schiebung wurde indes auf Weisung des Reichskanzleramtes vielmehr der alttestamentliche Privatdozent Graf Baudissin berufen, obwohl an der damals kaum 50 Leute zählenden Fakultät neben Eduard Reuß seit 1873 noch der Extraordinarius Aug. Kayser das Alte Testament vertrat. Kayser war 1879, Baudissin Anfang 1880, als er Basel ausschlug, Ordinarius geworden. Inzwischen war die Statthalterschaft errichtet worden. Manteuffel nun wollte die erledigte Stelle wieder mit einem Alttestamentler besetzen, weil er einen orthodoxen Vertreter der Bibelwissenschaft in die Fakultät zu bringen wünschte.
Unter den von der Fakultät vorgeschlagenen Kandidaten hatte ihm (Manteuffel) sein Freund Leopold von Ranke in Berlin nach Erkundigung bei Dillmann Nowack als „gläubigen“ Theologen empfohlen. So ließ er in dem Bericht an das Zivilkabinett die baldige Besetzung der Stelle als „dringend wünschenswert“ bezeichnen und Nowack als Mann von „nicht zu bezweifelnder positiver Glaubensstellung“ in Vorschlag bringen.
Der Gunst des alten Marschalls ging freilich Nowack bald verlustig. Denn obwohl nicht kirchlich-liberal im alten Sinne, bald sogar für viele Jahre in scharfer Kampfstellung gegen den parteimäßigen kirchlichen Altliberalismus, war er durchaus ein Vertreter der modernen kritischen Bibelwissenschaft und seinem dogmatischen Standpunkt nach am ehesten als Ritschlianer anzusprechen.
Dazu verurteilte er Manteuffels politisches Regime aufs schärfste. So war Nowacks Wirksamkeit neben zwei weiteren Vertretern des Faches zunächst in enge Grenzen gezwungen. Doch starb Kayser nach langer Krankheit im Sommer 1885, während Reuß 1888 endgültig in den Ruhestand trat. Zugleich hob sich in diesen Jahren der Besuch der Fakultät beträchtlich bis zu 120 Studenten im Jahre 1891. Damit hatte Nowack, nunmehr Inhaber des eigentlichen Fachordinariats, als akademischer Lehrer ein dankbares Arbeitsfeld.“ [Quelle: Anrich a.a.O]
Ein drastisches Beispiel für die geschliffene, elegante und zugleich ätzende Schärfe der Argumentationen von Wilhelm Nowack ist seine Abrechnung mit der Schul- und Kirchenpolitik des Reichsstatthalters für Lothringen-Elsaß, Generalfeldmarschall Edwin von Manteuffel, die er nach dessen Tod am 17. Juni 1885 hielt.
Ein weiteres Beispiel für die einerseits liberal unabhängige, aber doch auch nationale Gesinnung von Wilhelm Nowack gepaart mit sozialkritischen Einsichten und der Mahnung zu weiteren Reformen ist die Gedächtnispredigt von Wilhelm Nowack, gehalten am 18. März 1888 in der Straßburger Thomaskirche: Pathos und Schärfe, Gedenken und Gläubigkeit, geschliffene Rhetorik.
Selbst wenn aus der Sicht des 21. Jahrhunderts vieles schwülstig erscheint – die Trauerpredigt ist ein Zeitdokument, dem man Denken und Fühlen nationalkonservativer, aber sozialverpflichteter Protestanten entnehmen kann.
Die Deutschen und die Straßburger Universität
Bei Wikipedia wird der Geschichte der Universität ein etwas längerer Text gewidmet
„Die Universität Straßburg ist aus dem protestantischen Gymnasium hervorgegangen, das Johannes Sturm 1538 gründete. 1556 wurde das Gymnasium in den Rang einer Akademie erhoben, 1621 in eine Universität und 1631 in eine königliche Universität verwandelt.
1681 wurde die freie Reichsstadt Straßburg von Truppen des „Sonnenkönigs“ eingenommen und so mit den bereits von Frankreich durch den Westfälischen Frieden erworbenen linksrheinischen Gebieten aus dem Kaiserreich vereint. Das Ancien Régime hielt die Frage der Religion allerdings für wichtiger als die der Sprache, so dass es nicht zu so entscheidenden Änderungen an der Universität kam. Die Elsässer galten als „deutsche Untertanen des Königs“. Die Gegenreformation wurde zwar stark gefördert, doch wurden die Protestanten nicht verfolgt, um, wie auch auf sprachlichem Gebiet, eine reibungslosere Integration in das Königreich zu ermöglichen. Auch zu französischen Zeiten hatte die Universität noch prominente deutsche Studenten. Einer davon war Goethe, der hier 1770/71 Jura studierte, nachdem sein Vater befunden hatte, dass er in Leipzig zu viel Zeit in Auerbachs Keller verbrachte. Die Vorlesungen fanden vor der Französischen Revolution noch in deutscher Sprache statt –und natürlich in lateinischer. Georg Büchner begann hier 1831 sein Medizinstudium (und beendete es dort nach der Flucht aus Hessen-Darmstadt in Folge der Beschlagnahme des „Hessischen Landboten“). Zu dieser Zeit, nach Revolution, napoleonischer und Restaurationszeit, waren insbesondere die Naturwissenschaften (in denen damals ohnehin Frankreich führend war) vollkommen in französischer Hand. Allenfalls in Theologie und Geisteswissenschaften blieb noch ein („alt-“)elsässischer und damit deutscher Einfluss.
1871, nach der Niederlage Frankreichs im Deutsch-Französischen Krieg und der Rückeroberung des Elsass, wurde sie als deutsche Kaiser-Wilhelm-Universität im Deutschen Reich neu gegründet. Ein großer Teil der Bildungs-, Wirtschafts- und Verwaltungselite der Region verließ das Elsass, um in Frankreich zu bleiben, so dass viele Bereiche des öffentlichen Lebens, und somit auch die Universität, von Grund auf neu organisiert werden mussten – und konnten, mit Material und Zuzug aus dem „Altreich“.
Im Übrigen war bei der Belagerung und deutschen Bombardierung Straßburgs – der Stadt des Buchdrucks – die städtische Bibliothek in der ehemaligen Dominikanerkirche getroffen worden und somit eine der größten und ältesten humanistischen Bibliotheken des gesamten Kontinents verbrannt. Diesen Verlust wollte man mit Buchspenden aus dem ganzen (neu gegründeten) Reich ausgleichen, was dazu führte, dass die Bibliothek der Universität (BNUS – Bibliothèque nationale et universitaire de Strasbourg) heute noch eine der größten und bestbestückten deutschsprachigen Bibliotheken ist.
1919, nach dem Ersten Weltkrieg, kamen mit dem Versailler Vertrag das Elsass und Straßburg und damit die Universität wieder zu Frankreich. Der Lehrbetrieb wurde nunmehr ausschließlich auf Französisch eingestellt ...
Während des Zweiten Weltkriegs verließ die französische Universität Straßburg und das Elsass und richtete sich in Clermont-Ferrand ein. In Straßburg, von den Nationalsozialisten wieder dem Deutschen Reich angegliedert, wurde die Reichsuniversität Straßburg gegründet. Carl Friedrich von Weizsäcker arbeitete zum Beispiel an dieser kurzlebigen „Besatzungsuniversität“. 1945 wurde sie mit dem Rückzug der deutschen Wehrmachtstruppen zunächst nach Tübingen verlegt und später aufgelöst. Nach 1945 kehrten die französischen Abteilungen der Universität nach Straßburg zurück
Die Universität Straßburg ist in der „Europäischen Konföderation der Universitäten am Oberrhein“ (EUCOR) mit den Universitäten Karlsruhe, Basel, Universität des Oberelsass und der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg verbunden. Sie verfügt wegen der kirchenrechtlichen Sonderstellung des Elsass als einzige in Frankreich über zwei staatlich finanzierte theologische Fakultäten (katholisch und protestantisch). In den 1970er Jahren wurde die Universität Straßburg aufgeteilt:
Universität Louis Pasteur (Straßburg I – Naturwissenschaften) Universität Marc Bloch (Straßburg II – Sprachen und Geisteswissenschaften) Universität Robert Schuman (Straßburg III – Recht, Politik- und Sozialwissenschaften)
Die Universität Straßburg wurde zum 1. Januar 2009 wiedergegründet als Vereinigung der Universität Louis Pasteur, der Universität Marc Bloch und der Universität Robert Schuman. [Quelle: Wikipedia, 28.12.2008]
In einer Rezension beschreibt Frank-Rutger Hausmann die existentiellen und folgenreichen Brüche in der Geschichte der Universität Straßburg sehr knapp und einprägsam:
„Innerhalb eines Dreivierteljahrhunderts kam es in Straßburg dreimal unter Beteiligung von ranghohen Politikern (Bismarck, Poincaré, Robert Wagner und Bernhard Rust) und Bildungsplanern (Franz von Roggenbach, Christian Pfister, Alexandre Millerand, Sébastien Charléty, Ernst Anrich) zu Universitätsgründungen. Im Jahr 1872 wurde die Kaiser-Wilhelm-Universität eröffnet...,, 1919 die Université de Strasbourg ... und 1941 die Reichsuniversität Straßburg....
Jedesmal unternahmen die neuen Herren im Land gewaltige ideelle wie materielle Anstrengungen, um eine möglichst moderne und effiziente Hochschule zu schaffen, deren Lehrkörper über internationales Renommee verfügte und über den engeren Bereich von Stadt und Provinz hinausstrahlte. Fakultäten für Philosophie, Theologie (nicht an der 1941 eröffneten Reichsuniversität), Rechtswissenschaft, Medizin und Pharmazie sowie Naturwissenschaften sollten Fachleute für Schulen, Kirchen, Justizdienst, Verwaltung, Gesundheitswesen und Industrie ausbilden und zur besseren Integration des Elsaß in den Staatsverband beitragen, handele es sich um das Deutsche Kaiserreich, die Dritte Republik oder das Großdeutschland Adolf Hitlers. Die Gründung von 1872 war ein wirklicher Neuanfang, da alle Universitätsgebäude erstmals errichtet werden mußten, die größtenteils noch heute bestehen. Die Professorenschaft wurde mit einer einzigen Ausnahme 1918 vertrieben und durch französische Hochschullehrer ersetzt, die ihrerseits nach Kriegsausbruch 1939 nach Innerfrankreich (Clermont-Ferrand) auswichen und wiederum nur die Gebäude hinterließen, in denen jetzt nach Prag und Posen die dritte Reichsuniversität des NS-Staates eröffnet wurde.
Die Physikerin und Wissenschaftshistorikerin Josiane Olff-Nathan, Leiterin einer internationalen Forschergruppe an der Université Louis Pasteur in Straßburg, die sich seit mehreren Jahren mit der Geschichte der Naturwissenschaften im Dritten Reich befaßt, hat zusammen mit der 2004 verstorbenen amerikanischen Wissenssoziologin und Historikerin Elisabeth Crawford (1937 - 2004) einen höchst instruktiven und opulent bebilderten Prachtband (meist Personenphotos, aber auch Abbildungen von Gebäuden und, seltener, Faksimiles von Dokumenten) herausgegeben, der am Beispiel der Naturwissenschaften (Mathematik, Physik unter Einbeziehung der Nuklearphysik, Geowissenschaften, Astronomie, Chemie, Pharmakologie, Biologie) dokumentiert, wie die drei Straßburger Universitäten jeweils ausgerichtet und ausgestattet wurden, um die intellektuelle Überlegenheit Deutschlands oder Frankreichs zu dokumentieren und an der West- bzw. Ostgrenze beider Länder eher als Bollwerke denn als Brückenköpfe zu figurieren.
Alle Neuanfänge implizierten die Auslöschung des vorangehenden Systems und zugleich Vertreibung und Exil der Professorenschaft. Nach 1871 wurde in Nancy eine medizinische Fakultät für Elsässer und Lothringer gegründet, die nicht deutsch sein wollten; nach 1919 und 1944 sammelten sich die ehemaligen Straßburger Professoren zunächst in Freiburg und Tübingen, ehe sie in eine der deutschen Universitäten im Reich integriert wurden. Die Kaiser-Wilhelm-Universität, die immerhin 46 Jahre bestand, war eine der modernsten und erfolgreichsten Universitäten überhaupt, an der namhafte Wissenschaftler wie die beiden Nobelpreisträger Conrad Wilhelm Röntgen und Ferdinand Braun, aber auch Rudolf Fittig, Felix Hoppe-Seyler, Oskar Schmiederberg und andere lehrten und eine internationale Schülerschaft bildeten. Die Université de Strasbourg versuchte nach 1919 an ihre Erfolge anzuknüpfen und die Vorzüge des deutschen akademischen Systems, vor allem das Seminar als Institution und geistigen Raum wissenschaftlicher Auseinandersetzungen, die der französischen Universität unbekannt waren, zu übernehmen“ . [La science sous l'influence : l'Université de Strasbourg – enjeu des conflits franco-allemands 1872 - 1945 / sous la direction d'Elisabeth Crawford et de Josiane Olff-Nathan. - Strasbourg : La Nuée Bleue, 2005. - 319 S. : Ill., graph. Darst. ; 30 cm. - ISBN 2-7165-0644-2 : EUR 40.00]
Einige der bekannteren ehemalige Studenten oder Lehrer, die in etwa in der Zeit von Wilhelm Nowack in Straßburg waren:
Louis Pasteur (1822–1895) Adolf Kußmaul (1822–1902) Friedrich Daniel von Recklinghausen (1833–1910), Adolf von Baeyer (1835–1917) Nobelpreis 1905 Lujo Brentano (1844–1931) Harry Bresslau (1848–1926) Ernst Remak (1849–1911) Josef von Mering (1849–1908) Karl Ferdinand Braun (1850–1918), Nobelpreis 1909 Hermann Emil Fischer (1851–1919), Nobelpreis 1902 Albrecht Kossel (1853–1927), Nobelpreis 1910 Theobald von Bethmann Hollweg (1856–1921) Georg Simmel (1858–1918) Oskar Minkowski (1858–1931) Othmar Zeidler (1859–1911) Bernhard Averbeck (1874–1930) Albert Schweitzer (1875–1965), Nobelpreis 1952 Ernest Esclangon (1876–1954) Paul Rohmer (1876–1977) Fred Vlès (1885–1944) Marc Bloch (1886–1944) Robert Schuman (1886–1963) Beno Gutenberg (1889–1960) [Quelle: Wikipedia, 28.12.2008]
Wilhelm Nowack kam 1882 nach Straßburg. Er war sehr engagiert, nicht nur in der Theologischen Fakultät, sondern auch 1892/1893 als Rektor der Universität.
Die Theologische Fakultät in Straßburg bis 1882
Theologieprofessor in Straßburg zu sein erforderte Kenntnisse der protestantischen Kirche und ihrer Geschichte im Elsaß und in Frankreich. Die deutsche Universität wurde wie die gesamte deutsche Regierung in großen Teilen der Bevölkerung als Fremdherrschaft gesehen und gewertet. Es galt also für Wilhelm Nowack Rücksichten auf ein komplizierte Geflecht von Geschichte, Urteilen, Vorurteilen und Emotionen zu nehmen.
Die Rolle der Theologischen Fakultät in Straßburg nach der Neugründung der Universität durch die Deutschen beschreibt Henri Strohl in seinem 2000 neu aufgelegten Buch „Le protestantisme en Alsace“, das hier in den wesentlichen Passagen zitiert wird, um deutlich zu machen, wie die Rolle der Deutschen gesehen wurde. Die Rolle der elsässischen bzw. französischen Lehrer an der Theologischen Fakultät war erheblichen Veränderungen unterworfen:
„Das Niveau der Kurse innerhalb der Fakultät hatte sich nicht verschlechtert. Die Anzahl der Lehrenden hatte sich um die beiden französischen Mitglieder verringert: Colani hatte Strasbourg verlassen und Sabatier wurde ausgeschlossen als Folge falschen Berichtes, demzufolge er angeklagt wurde ein negatives Urteil über deutsche Frauen in einer seiner literarischen Konferenzen, die er zum Trost für trauernde Personen abhielt, ausgesprochen zu haben. Lichtenberger musste auch die Fakultät verlassen nach einer engagierten Rede über „Elsass in Trauer“, in der er Die Anwohner der Ill und des Rheins mit dem Psalmenschreiber verglich: „Sitzend am Ufer des Flusses von Babylon weinen wir in der Erinnerung an Zion“...
2 Elsässer, Bruch und Baum, waren kurz vor der Pension. Der Professor des Neuen Testaments, Cunitz, blieb im Hintergrund gegenüber dem Spezialisten, der mit ihm arbeitete.
Reuss war noch im Höhepunkt seiner Karriere. Da es für rüstige Professoren keine Altersgrenze gab, unterrichtete er bis 1889. Von 1873 bis 1881 hatte er den Elsässer Kayser als Assistenten, der bekannt war durch seine Veröffentlichung: „Die biblische Theologie des alten Testaments“, die später von dem Schweizer Marti neu verlegt wurde. Reuss hatte nicht das Ziel aufgegeben, das er sich vorgenommen hatte: das Studium der Bibel und der Geschichte in Frankreich wiederzubeleben. Zwischen 1874 und 1881 veröffentlichte er seine französische Bibel. Nach dem Beginn der Krankheit von Baum und dem Tod von Cunitz veröffentlichte er allein die Werke von Calvin, und bereitete eine Veröffentlichung seiner Bibel auf Deutsch vor. 1891 nach seinem Tod hinterließ er ein Manuskript dieser Bibel und Manuskripte von 13 Bänden seiner „Opera“, die noch nicht veröffentlicht waren. Zu Lebzeiten hatte er schon 46 Bände veröffentlicht. Seine Schüler Lobstein, Baldensperger, Horst und Erichson bearbeiteten die Manuskripte und veröffentlichten sie. Reuss hat damit allen Anhängern Calvins in der ganzen Welt einen großen Dienst erwiesen und eine Renaissance der Studien über Calvin möglich gemacht.
Schmidt unterrichtete bis 1877, wurde dann emeritiert. Die Vernichtung seiner Bibliothek hätte ihm fast das Herz gebrochen. Nach dem Umzug seiner Familie nach Frankreich blieb er allein im Hais von Jean Sturm, wo er 1895 starb. Er hing zu sehr an seiner Heimat und seinen Erinnerungen und fühlte sich zu alt um noch seinen Söhnen zu folgen und umzuziehen. Er folgte nicht der Einladung von Sabatier und Lichtenberger nach Paris zu kommen. Umgeben von seinen Inkunabeln und seiner persönlichen Sammlung realisierte er noch mehrere gelehrte Werke über die ersten Druckereien in Strassburg und ihre Drucke. Als Zusammenfassung früherer Studien veröffentlichte er eine Literaturgeschichte des Elsass vom Ende des 15. bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts, die von der „Academie Française“ ausgezeichnet wurde und die noch die beste Einführung zum Studium des Humanismus im Elsass ist. Weber hatte in die Fakultät der Literaturwissenschaften gewechselt, in der die Theologiestudenten Kurse in Philosophie folgen mussten.“ [Quelle: Henri Strohl, Le protestantisme en Alsace, Neuauflage, 2000, S. 415-418 ff; Übersetzung: Gerhard Göltz]
Die Deutschen und die Theologische Fakultät der Universität Straßburg 1882-1918
Der bereits zitierte Rezensent Frank Lutger Hausmann fasste in einer weiteren Rezension wesentliche Aspekte der Universitätsgeschichte von Straßburg zusammen, die uns weiter in den Problemkreis „ Elsaß-Deutsches Reich-Protestanten-Katholiken-Akademische Freiheit“ einführen:
„Er [der Autor Roscher] ruft zunächst die bis heute, vor allem in Frankreich, immer noch emotionsgeladene Geschichte der Annexion von Elsaß-Lothringen im Frieden von Frankfurt 1871 in Erinnerung und zeigt die heikle Lage des von Berlin aus verwalteten Reichslandes, das zwar 1874 mit dem ,Landesausschuß’ ein Notablenparlament und damit Ansätze von Autonomie erhielt, aber vermutlich besser als selbständiges Bundesland mit einem eigenen Fürsten in den Reichsverband integriert worden wäre. Zudem gab es starke konfessionelle Spannungen, da die Mehrzahl der Professoren und Studenten protestantisch waren, die Protestanten, die meist im Unterelsaß beheimatet waren, aber nur etwa 25 % der elsaßlothringischen Bevölkerung ausmachten.
Die elsässischen Protestanten hatten zumeist das 1538 von Johannes Sturm gegründete Protestantische Gymnasium durchlaufen, das sich als Teil der deutschen Kultur betrachtete und auf hohem Niveau Unterricht erteilte.
Es hatte zwar bereits 1621 infolge der Ertrotzung eines Universitätsprivilegs seitens der Stadt und der Schaffung einer Akademie, die schon bald Universität wurde, sein Monopol als quasi-universitäre Ausbildungsstätte verloren, spielte jedoch in der elsässischen Geschichte auch weiterhin eine bedeutende Rolle. Mit dem Einzug der Franzosen im Jahr 1681 erhielt das katholische Element Aufwind. Seine Eliten durchliefen die jesuitisch geprägte bischöfliche Universität, die in Konkurrenz zur eigentlichen Straßburger Universität stand, an der Goethe sein Jurastudium abschloß und die im Verlauf der Französischen Revolution als „Hydra des Deutschtums“ aufgelöst wurde. Die bischöfliche Universität ging unter Napoleon in einer Université Impériale auf, die ehemalige deutsche Universität in einem Séminaire Protestant, das zwar nicht nur Pfarrer ausbildete, sondern auch Mediziner und Juristen, aber nicht an den Rang einer wirklichen Universität heranreichte.
Die neuen deutschen Herren versuchten zwar, aus beiden Einrichtungen die besten Kräfte in die neue Reichsuniversität zu holen, aber die Humboldtsche Universität hatte ein für die damalige Zeit moderneres Bildungskonzept, dem nur wenige elsässische Gelehrte entsprachen. Hinzu kam, daß die Dritte Republik in Nancy eine Konkurrenzuniversität („Université de Strasbourg en exile“) gründete, an der viele frankophile Elsässer studierten
Die neue Reichsuniversität, gelegentlich als „Burg der Weisheit am Rhein“ gefeiert, erhielt zunächst fünf Fakultäten, eine protestantisch-theologische, eine juristisch-staatswissenschaftliche, eine philosophische, eine medizinische und eine naturwissenschaftliche. Sie verfolgte insgesamt das Ziel, wenn auch nicht ausschließlich, das am Oberrhein zurückgewonnene Gebiet wieder in den deutschen Kulturraum einzugliedern, doch sollte dies durch sachlich-neutrale Forschung und Lehre, nicht durch Druck und plumpe Indoktrination geschehen.
Immerhin lautete das Motto über ihrem Eingang „litteris et patriae“. Der Ökonom Gustav Schmoller brachte es in seiner Rektoratsrede von 1874 auf den folgenden Nenner:
‘Hoffen wir, dass der spätere Historiker in die Annalen der Geschichte dieses Landes die Bemerkung wird eintragen dürfen: die deutsche Universität mit ihrem aus alten und neuen Elsässern zusammengesetzten Lehrkörper hat ihre Aufgabe begriffen; sie hat an ihrem Theil redlich mitgewirkt zur Versöhnung der Parteien; sie hat Verständnis gezeigt für die Eigenart des Landes, sie hat aber vor allem dadurch sich ihrer Aufgabe gewachsen gezeigt, dass sie gekämpft hat im Dienste der Wahrheit und der Erkenntnis, die über der Scheidewand der Parteien, über der Scheidewand der Nationen und Confessionen stehen’...
Das ist angesichts der protestantisch-altreichischen Mehrheit der Professoren idealisiert, doch achteten die Rektoren und Dekane stets auf die Autonomie ihrer Universität, die sie, nicht immer erfolgreich, gegen die Berliner Einmischung und Bevormundung verteidigten.
Der berühmt-berüchtigte Friedrich Althoff hatte seine Verwaltungslaufbahn in Straßburg begonnen und kümmerte sich deshalb als Berliner Ministerialdirektor und heimlicher Kultusminister besonders um seine alte Hochschule, an der er, ohne promoviert oder habilitiert zu sein, eine juristische Professur bekleidet hatte. Er ist der Erfinder des sog. Systems Althoff, eines kunstvoll geknüpften Netzwerks, welches es ihm erlaubte, von außen Einfluß auf die Berufungspolitik der preußischen Universitäten zu nehmen, selbst im fernen Elsaß.
Aufgrund dieser Lage kann die Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Universität als eine Art Versuchslabor der Berliner Elsaß-Politik betrachtet werden. Sie war stark personalisiert, da den Rektoren, Kuratoren (Karl Ledderhose, Heinrich Hoseus, Julius Hamm, Ernst Matthias von Köller) und Universitätssekretären eine wichtige Rolle zufiel, hingen aber zugleich von den Kaiser und Reich vertretenden Oberpräsidenten (Eduard von Möller, Edwin Baron von Manteuffel, Chlodwig Fürst zu Hohenlohe-Schillingsfürst, Hermann Fürst von Hohenlohe-Langenburg) ab, die nicht immer besonders entscheidungsfreudig und durchsetzungsstark waren.
Dennoch haben alle Beteiligten in dem hier betrachteten Zeitraum die verzwickten Probleme der deutsch-französischen „Doppelkultur“, der Konfessionalisierung und der Autonomiebestrebungen mehr oder weniger erfolgreich gemeistert.
Die Universität bekam nach langem Hin und Her, das sich zu einer elsässischen Affäre auswuchs, mit dem erst 28jährigen Martin Spahn einen ersten katholischen Historiker, der sich die Institutsdirektion mit dem Protestanten Friedrich Meinecke teilte.
Im Jahr 1903 erhielt sie auch noch ohne besonderes Dazutun eine Katholisch-Theologische Fakultät, und die Zahl mehrheitlich katholischer elsässischer Studenten wurde erheblich gesteigert. Straßburg gehörte inzwischen zu den ersten Universitäten des Reiches”. [Die Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg 1872 - 1902 / Stephan Roscher. - Frankfurt am Main [u.a.] : Lang, 2006. – 460 S. ; 21 cm. - (Europäische Hochschulschriften : Reihe 3, Geschichte und ihre Hilfswissenschaften ; 1003). - Zugl.: Frankfurt (Main), Univ., Diss., 1991. - ISBN 3-631-31854-5 : EUR 74.50]
Die Beurteilung, die Henri Strohl in seiner Geschichte des Protestantismus im Elsaß, über die deutschen Professoren abgibt, ist sichtlich von dem Bemühen um Neutralität und Genauigkeit geprägt:
„Während der 200 Jahre unter französischer Herrschaft hatte es in der theologischen Fakultät nur 2 Franzosen als Lehrende gegeben, die aus den „alten“ Departements stammten und das auch nur in jüngster Zeit.
Die Deutschen wünschten nicht das Übergewicht der Einheimischen beizubehalten, genau so wenig wie in den anderen Fakultäten der kaiserlichen Universität, die sie neu geschaffen hatten. Sie wiesen den Elsässern sofort deutsche Mitarbeiter zu und erhöhten deren Zahl mit jeder freiwerdenden Stelle. Am Anfang rechtfertigte sich diese Methode durch die Berufung renommierter Personen. In der Folge gab es für Elsässer keinen Anreiz mehr eine Universitätskarriere einzuschlagen. Die, die eine Zeitstelle bekamen, wurden selten berufen und Privatdozenten wurden selten titularisiert.
Wir erwähnen hier nur die bekanntesten deutschen Professoren. Der erste war Holtzmann (von 1874 bis 1904), ein Neutestamentler von hohem Niveau, ein Denker, der die „Ethik“ von R.Rothe veröffentlichte. In seinen Katechismus-Kursen und in seiner allgemeinen Pädagogik präsentierte er sein System bis zur Ankunft von Spitta. In seinen Kursen über die Theologie des Neuen Testaments war er die Objektivität in Person. Er versuchte nie Druck auf die Überzeugungen seiner Zuhörer auszuüben. Er selber war eher liberal und es verging kaum ein Jahr ohne dass er eine Studie über ein aktuelles Problem in seinem Wissenschaftsbereich im „Baumkränzel“ veröffentlichte.
1881 folgte der Berliner Nowack auf Kayser; er blieb in Strassburg bis 1918. Der Pastor Michaelis, Sohn des gleichnamigen Archäologen, schrieb in seiner Übersicht über die Geschichte der elsässischen Kirche unter den Deutschen, dass „Nowack Zeit brauchte, um sich an den Elsass zu gewöhnen und die Elsässer, um sich an Nowack zu gewöhnen“. Als Autor von mehreren wissenschaftlichen Kommentaren über das alte Testament waren seine Kurse eher solide als suggestiv...
Von 1889 bis 1900 teilten sich Budde und Nowack die Vorlesungen über das Alte Testament. Budde war ein Historiker, der ein Zeitalter darstellen konnte, der einen Autor lebendig interpretieren konnte. Er hatte eine solide literarische Kultur, und beschäftigte sich gerne mit der „hymnologie“. Damit war er auch für die Poesie der hebräischen Literatur qualifiziert.
1887 wird Spitta Assistent für das neue Testament und übernimmt den Unterricht in praktischer Theologie als Assistent von Krauss, der 1873 die Professur von Baum übernommen hatte. Sein Handbuch der praktischen Theologie war eine Zusammenfassung seiner Vorlesungen voller Weisheiten eines Hirten. Spitta hatte neue Ideen zu den Schriften des Neuen Testament und ein Vorläufer für Reformen des Gottesdienstes. Er verband die Praktik mit der Theorie. Als eindrucksvoller Prediger organisierte er „akademische Gottesdienste“, die als Modell-Gottesdienste konzipiert waren. Musikalisch veranlagt schuf er einen „akademischen Kirchenchor“, der in Konkurrenz war mit dem Chor von St-Guillaume.
Spitta machte Schütz bekannt und machte ein protestantisches Publikum mit einer großen Zahl alter Werke bekannt und mit Kompositionen seines Freundes Herzogenberg. Um seine Ideen zu verbreiten, schuf er die „Monatsschrift für Gottesdienst und kirchliche Kunst“. Als erfahrener Kirchenmusiker („hymnologue“) arbeitete er in dem „comité de la conférence pastorale“ an einer neuen Sammlung von Kirchengesängen und es gelang ihm das comité zu überzeugen die ursprüngliche Form der Gesänge zu respektieren. Er hatte auch alte Strassburger Melodien wiederbelebt, die im Elsass vergessen waren, die aber in französischen Gesängen weitergelebt hatten. Für die Studenten war er ein großer Freund.
Somit war die Fakultät an der Schaffung von Kirchengesängen beteiligt, die Pastoralkonferenz („Conférence pastorale“) lehnte es allerdings ab eine Agenda und eine Liturgie zu schaffen aus Erinnerung an einen Misserfolg in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Das hinderte Smend, einen Kollegen von Spitta und Mitherausgeber der Monatsschrift, nicht daran daran weiter zu arbeiten und eine „Aktuelle Liturgie“ zu veröffentlichen, die auch die schönsten Texte der alten elsässischen Liturgie enthielt. Das „Consistoire supérieur“ hatte daraufhin die Einführung dieser Liturgie autorisiert.
J. Ficker kam jung nach Strassburg und blieb bis 1918. Er spezialisierte sich auf 2 Gebieten. Er schrieb mehrere Veröffentlichungen über die Geschichte der Reform. Er veröffentlichte die erste Vorlesung von Luther über den Brief an die Römer, den er mit viel Glück in den Archiven des Vatikan fand und die die Sicht der Forschungen über die Ideen des Reformators änderte. Er leitete ein Seminar über christliche Archäologie und die Geschichte der christlichen Kunst. Er organisierte Ausflüge um zahlreiche romanische und gothische Kirchen in der Umgebung zu besichtigen. Er kümmerte sich um die Dekorationen und den Druck des neuen Gesangbuchs; er war Berater für Pastoren, die neue Kirchen bauen mussten.“ [Quelle: Henri Strohl, Le protestantisme en Alsace, Neuauflage, 2000, S. 416-419; Übersetzung: Gerhard Göltz]
Die Bewertungen von Strohl unterscheiden sich nicht wesentlich von denen Gustav Anrichs, der in seinem Nachruf auf Nowack diesem allerdings eine deutlichere Rolle bei der Reform des Gottesdienstes in der Thomaskirche zuweist:
„Neben Wilhelm Nowack wirkten als Extraordinarien Karl Budde (1889-1900), Georg Beer (bis 1910) und Friedrich Küchler (bis 1918), der erstere schon nach einem halben Jahr als persönlicher Ordinarius.
Mit Friedrich Spitta (gestorben 1924) zusammen richtete Nowack I888 die monatlichen ademischen Gottesdienste in der Thomaskirche ein, in denen er zwanzig Jahre hindurch neben den beiden praktischen Theologen Spitta und Smend das Predigtamt versah.
Nach dem Rücktritt Holtzmanns im Herbst 1904 fiel Nowack als Senior der Fakultät auch äußerlich führende Stellung zu, die ihm Tatkraft und diplomatische Gewandtheit schon zuvor verschafft hatten. Kaum ein anderer Kollege hat an der Gestaltung der Fakultät so starken Anteil gehabt. Nicht bloß die Berufung seiner Fachextraordinarien, auch die von Friedrich Spitta, Emil Walter Mayer und zuletzt von Friedrich Naumann sind wesentlich durch ihn verursacht.
In Besetzungsfragen ging sein Bestreben dahin, entgegen den Ansprüchen der pietistischen und der lutherischen Partei die wissenschaftliche Homogenität der Fakultät zu wahren, was freilich nur so durchzuführen war, daß von betont links gerichteten Theologen gleicherweise Abstand genommen wurde.
Auch im allgemeinen Kollegenkreise erwarb sich Nowack steigendes Ansehen. 1892/93 hat er das Rektorat bekleidet.“[Quelle: Deutsches Biographisches Jahrbuch 1928]
Das Thema der Rektoratsrede von Wilhelm Nowack im Jahre 1892 war: „Die sozialen Probleme in Israel und deren Bedeutung für die religiöse Entwickelung dieses Volkes.“ Diese Rede ist ein besonders gutes Beispiel für die Überzeugungen von Nowack und ihre Herleitungen eben auch aus dem Alten Testament.
Elsässische Theologen an der Universität Straßburg 1882-1918
Zweifellos war Nowack geschickt in seiner Rolle als Senior der Fakultät. Er war ein sehr politischer Mensch, bemühte sich auch um eine aktive Rolle in der Kirche. Und selbst wenn nicht alles zur Zufriedenheit der Elsässer unter den Theologen auch im Bezug auf ihre Positionen lief, gab es doch eine deutliche Weiterentwicklung. Henri Strohl attestiert der Theologischen Fakultät jener Zeit - und damit eben auch ihrem langjährigen Senior Nowack, ohne ihn gesondert zu erwähnen - ein Bemühen um Entwicklungschancen und Entfaltungsmöglichkeiten für die Elsässer:
„Wie viele Elsässer gab es in der Fakultät nach 1870? Es gab nie mehr als 2 reguläre Professoren. Paul Lobstein, ein Dogmatiker, wurde 1876 ernannt und war Sohn eines „pasteur de réveil“, der „das christliche Jahr“ veröffentlichte. Er vereinte mit der Frömmigkeit seines Vaters eine rigorose wissenschaftliche Integrität. Auch wenn sich seine Kurse auf deutsch an die zukünftigen Leiter der elsässischen Kirche richteten, veröffentlichte er beinahe alle seine Studien über die Ideen Calvins und über dogmatische Probleme auf französisch... Die christlichen Wahrheiten wurden präsentiert als erlebte Realitäten, die wieder erlebt werden konnten und sollten. Für Lobstein war die Dogmatik eine Wissenschaft dieser Tatsache, die nur aus einer gewissenhaften Analyse der biblischen Texte, aus Glaubensbekenntnissen, die versucht haben diese zu interpretieren und aus der aktuellen Erfahrung der Gläubigen herausgearbeitet werden kann. Trotz seiner weitgehenden geschichtlichen Kritik war die Dogmatik von Lobstein positiv, die Suche und Präsentation einer Tatsache. Zunächst mit einem gewissen Misstrauen beäugt von den beiden extremen Richtungen, die in ihm keinen Anhänger ihrer Ideen sahen, konnte er mit der Zeit die Rechte überzeugen, dass sie seine Methode nicht ablehnen konnten, und die Linke, dass sie nachprüfen konnten, inwieweit er den Grundaussagen treu blieb. Somit konnte er die verschiedenen Geister auf eine gemeinsame Basis bringen, auf der sie sich verständigen und verbrüdern konnten. Über lange Jahre hinweg trugen seine Vorlesungen, immer ruhig und ausgeglichen, zu einer gewissen Entspannung bei, ohne die Einen oder die Anderen daran zu hindern eine pietistische oder eine liberale Note zuzufügen. Sehr kultiviert mit einem Hang zur Dichtung unterstützte Lobstein die Bemühungen der protestantischen Pensionate, die sich Mühe gaben die weibliche Jugend in Kontakt mit der französchen Kultur und dem christlichen Glauben zu halten indem er dort Kurse in Religion und Literatur gab.
Sein Freund Lucius übernahm die Professur von Schmidt in 1880. Er war zuständig für die gesamte Geschichte der Christen. In 20 Jahren entwickelte er eine Reihe von Vorlesungen, in denen die große Übersicht mit persönlichen Ansichten wechselte und Vorträgen, die in die Einzelheiten gingen. Seine Kurse über die Geschichte der Dogmen und über das 19. Jahrhundert zählten zu den empfehlenswertesten Vorlesungen an dieser Fakultät. Er war einer der Ersten, der aus der Geschichte eine wissenschaftliche Aufgabe machte. Er interessierte sich für dieses Werk, in dem er nicht nur das Bestreben zur Ausbreitung des Christentums sah, sondern auch eine Sühne für die Verbrechen der ersten Kolonisatoren. Diese Idee hatte Albert Schweitzer beeindruckt und er hat versucht sie umzusetzen. Lucius bereitete jedes Jahr für das Fest der kirchlichen Missionsgesellschaft einen Rechenschaftsbericht vor. Er veranlasste auch einen Bericht über die religiöse Vergangenheit des Elsass und war sehr zufrieden, als Anrich und der Pastor Adam versprachen sich darum zu kümmern. Die Manuskripte seiner Vorlesungen füllten bei seinem Tod 20 Bände. Seine prägnante Studie über Bonaparte und seine Übersichtsartikel waren nur der Anfang eines großen Werkes über den Anfang des 19. Jahrhunderts. Sein früher Tod im Jahr 1902 war ein großer Verlust für den Elsass, die Kirche und die Wissenschaft.
Sein Nachfolger Anrich war 9 Jahre lang Privatdozent gewesen. Er war einer der Ersten, die den Einfluss der mystischen Religionen auf das Christentum der ersten Jahrhunderte studierten. Er interessierte sich für die Hagiographie und veröffentlichte eine wissenschaftliche Studie über den heiligen Nicolaus. Sein Spezialgebiet war die Geschichte der Reform im Elsass. Für ein internationales Komitee, das ein Denkmal für [den elsässischen Reformator Martin] Bucer auf dem Platz St. Thomas errichten wollte, veröffentlichte er 1914 eine Monographie über den Reformator von Strassburg. Sie beleuchtete die verschiedenen Aspekte dieser Person. Eine komplette Biographie sollte folgen. Dieses Projekt starb mit der Abreise von Anrich 1918.
G. Baldensperger war Privatdozent. Er sollte nach einem brillanten Anfang provisorisch eine Professur in Giessen übernehmen. Aber vor 1918 passierte nichts. Am Anfang des 20. Jahrhunderts gab es 2 neue Privatdozenten, die erst später ihre Begabung zeigten. F. Ménégoz und A. Schweitzer.
F. Ménégoz war Pastor an der Kirche St. Nicolas und hatte sich vorbereitet Dogmatik zu lehren unter der Leitung von Lobstein und seinem Onkel E.Ménégoz in Paris. Nach seiner Doktorarbeit (licence) auf französisch durfte er ab 1901 Kurse als Privatdozent geben. Bis 1914 hatte er eine erste Version eines Buches über das Gebet beendet.
Albert Schweitzer, Direktor des Seminars und Vikar an der Kirche St. Nicolas hatte 1902 dieselbe Zulassung als Privatdozent erhalten. Durch seine außergewöhnliche Arbeitskraft war es ihm möglich gewesen mit Erfolg verschiedene Studien in sehr verschiedenen Gebieten zu führen. Seine „Geschichte der Forschungen über das Leben von Jesus“ widersprach den Thesen seiner Vorgänger und zeigte den eschatologischen Charakter der Lehre von Jesus.
Später führte er eine ähnliche Studie über Paulus durch und schrieb ein Werk über: „Die Mystik des Apostels Paulus“, die ihn als Spezialisten des Neuen Testaments klassifizierte. Im Bereich der Philosophie zeigten schon seine ersten Schriften die Qualitäten des zukünftigen Autors der „Kulturphilosophie“, der im Respekt des Lebens die wichtigste Erscheinungsform des moralischen Empfindens sieht. Ausserdem war er Musiker, Orgelspieler mit internationalem Renommee und Autor eines Buches: „J.S.Bach“ , das auf französisch, deutsch und englisch erschien. 1909, auf der internationalen Musikkonferenz in Wien wurden seine Vorschläge zum Orgelbau angenommen und eingefügt in ein „règlement international“. Aber es war nicht sein Ziel in einem dieser Rahmen zu bleiben, sei es Universität oder Kirche. Trotz seiner diversen Verpflichtungen, die mehrere Leben hätten füllen können, fand er die Zeit Medizin zu studieren um seine Absicht zu realisieren und eine humanitäre Aktion in Schwarzafrika durchzuführen. Am Karfreitag 1913 reist er nach Gabun. Dort schuf er bei der „orée de la forêt“ das Krankenhaus von Lambarene, das im Elsass, wie in der ganzen Welt, zur medizinische Unterstützung durch engagierte Freunde aufrief. [Quelle: Henri Strohl, Le protestantisme en Alsace, Neuauflage, 2000, S. 419-420; Übersetzung: Gerhard Göltz]
Aus historischer Sicht war die Straßburger Theologische Fakultät in den Jahren der Deutschen Kaiser Wilhelm Universität also durchaus eine sehr fortschrittliche und in Teilen gar aufmüpfige Einheit. Daran hatte Wilhelm Nowack seinen Anteil, den zu quantifizieren nicht möglich ist. Sicher ist, dass er offensichtlich bei allem manchmal wohl schroffen Auftreten ein großes Verhandlungs- und Organisationsgeschick besaß. Gepaart mit seinen politischen Ambitionen ergab sich eine manchmal auch kritisch zu bewertende Anhäufung von Macht. Letzte Urteile wird es erst geben können, wenn alle Archive ausgewertet sind und die Bereitschaft, dabei zu bhelfen auf allen Seiten ohne jede Einschränkung vorhanden ist.
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