War Nowack ein wichtiger, bedeutender Gelehrter? Die Beurteilungen sind sich letztlich einig im Lob über seinen Fleiß, sein (manchmal wohl etwas missionarisches) Engagement und seine Streitbarkeit, seiner rhetorischen Gewandtheit und seinen organisatorischen Fähigkeiten. Die alles gepaart mit politischem Geschick und seinen erfolgreichem Netzwerken (wie man heute sagen würde).
In vielen Würdigungen klingt an, dass es Nowack seinen Mitmenschen in Straßburg und dem Elsaß nicht immer leicht machte, aber dass er doch die Anerkennung, vielleicht manchmal auch nur zähneknirschend von seinen Kollegen bekam. Dies klingt auch an im Nachruf des Kirchenboten aus dem Jahr 1928:
Kirchenbote [10.6.1928]
[Kirchenbote 10.6.1928, Strasbourg - Quelle: Archives de la Ville de Strasbourg, 2009]
Friedensbote (17.6.1928)
Auch der Friedensbote lobte und kritisierte Nowack zugleich :
[Friedensbote 17.6.1928, Strasbourg - Quelle: Archives de la Ville de Strasbourg, 2009]
Nachruf der Universität Leipzig (1928)
Überliefert ist der Nachruf des amtierenden Rektors der Universität Leipzig, der Philologe Erich Julius Bethe in den Rektoratsreden:
Nowacks ausgebreitete wissenschaftliche Tätigkeit bezog sich fast ganz auf das Alte Testament. In mehreren Schriften legte er bereits früh die Resultate eigenen Forschens nieder, besonders im zweibändigen Lehrbuch der hebräischen Archäologie.
Daneben hielt er es für seine Pflicht, den Schriften anderer, die ohne ihn in Vergessenheit geraten oder nie zu rechter Wirkung gekommen wären, durch Neuherausgabe oder Sammlung Geltung zu verschaffen.
Als dann Wellhausen eine neue Auffassung des Alten Testaments begründete und ihm die Gemüter zahlreicher, jüngerer Forscher in kurzer Zeit zufielen, hielt sich auch D. Nowack noch für jung genug, um in den neuen Kreis zu treten.
Er übernahm die Herausgabe eines Handkommentars zum Alten Testament, zu dessen Bearbeitung er die ihm jeweils am geeignetsten erscheinenden heraussuchte.
Jahrzehntelang hat der Nowacksche Handkommentar die Führung in der alttestamentlichen Wissenschaft gehabt und den Sieg der Wellhausenschen Schule an seinem Teile miterrungen. D. Nowacks Name wird mit diesem Kommentare um so mehr verbunden bleiben, als er selber einige der wichtigsten Bücher des Alten Testamentes darin behandelt hat. [Quelle: Die Leipziger Rektoratsreden 1871-1933, Band II die Jahre 1906-1933, S. 1545 – Universitätsarchiv Leipzig 15.6.2017]
Nachruf von Gustav Anrich (Theologieprofessor in Straßburg / 1928)
Einzelne Anmerkungen wurden auf vorstehenden Seiten bereits zitiert:
„... Denn obwohl nicht kirchlich-liberal im alten Sinne, bald sogar für viele Jahre in scharfer Kampfstellung gegen den parteimäßigen kirchlichen Altliberalismus, war er durchaus ein Vertreter der modernen kritischen Bibelwissenschaft und seinem dogmatischen Standpunkt nach am ehesten als Ritschlianer anzusprechen...
Im übrigen war er mehr der Mann der soliden Einzelarbeit und des vorsichtigen kritischen Abwägens als gewagter Theorien und intuitiver Großzügigkeit.
Wenn er aber trotz großen Scharfsinns und bedeutsamer Arbeitsleistung neue Wege nicht gewiesen und neue Gesichtspunkte kaum zur Geltung gebracht hat, wenn er also der wissenschaftlichen Originalität im höchsten Sinne entbehrte, so lag das mit daran, daß sein letztes Interesse nicht so sehr der Wissenschaft galt als den praktischen Fragen des kirchlichen, des politischen, überhaupt des öffentlichen Lebens.
Seiner Geschäftsgewandtheit wegen war in Ausschüssen und Kommissionen seine Mitarbeit geschätzt. Das höchste Maß von Vertrauen bekundeten ihm die Kollegen, als sie ihn 1915 in einer Zeit schwerer Spannungen zum Vertreter der Universität in der Ersten Kammer des Landtags wählten.“
Karl Budde (Theologieprofessor / 1930)
Zwei Jahre nach dem Tod von Nowack beschrieb sein früherer Kollege, der 80jährige Theologe Karl Budde in einem Brief an Albert Schweitzer am 10.4.1930 einen seiner eigenen Nachfolger im Vergleich mit Nowack, der offensichtlich eine Art Maßstab war: „Er hat eins mit Nowack gemein, ein vorzüglicher, sehr schneidiger Organisator“.
Rudolph Smend (Theologieprofessor / 1999)
Aus der Distanz von 70 Jahren urteilt R.Smend 1999 über die Arbeit von Nowack u.a.:
„Er begann seine Hauptaktivität 1881, indem er den Ruf nach Straßburg als o. Profesor annahm, folgend auf W. Baudissin. Begabt in Administration und mit einem leidenschaftlichen politischen Temperament entwickelte er eine sehr aktive und einflussreiche Rolle in der Fakultät, der Universität, der Kirche und der Schule...
Sein wichtigster Lehrer war A. Dillmann, danach wechselte er früh zu den Ansichten von G. Wellhausen über, welche er übernahm und sie so ausladend darbot, dass Wellhausen selbst über ihn spottete. Sein Mangel an originären Ideen erlaubte ihm nichtsdestotrotz ein guter Exeget und Autor von Lehrbüchern zu sein.
Die Kommentare, welche die Mehrheit seines literarischen Werks bilden, sind solide und einfühlsame Darstellungen der Fakten und der möglichen Erklärungen, jedoch stets entlang der Linie von Wellhausen. Sein unabhängiger Kommentar zu Hosea (1880), den er in Antwort zu B. Dahm’s „Theologie der Propheten“ (1875) schrieb, markiert den Anfang seiner exegetischen Arbeit.“ [Quelle: R. Smend im 1999 erschienenen Dictionary of Biblical Interpretation (ed. J.H.Hayes), II, Nashville 1919, Übertragung: M. Thomas]
Wilhelm Nowack war ein resoluter Verfechter einer Gemeinwohlorientierung des Staates und eines durch Glaube und Vernunft gespeisten rücksichtsvollens Zusammenlebens der Menschen in der staatlichen und kirchlichen Gemeinschaft. Dafür fand er in “seinem” Alten Testament und in seiner Familie Begründungen und Zuversicht sowie die Kraft für Diskussionen, (kirchen-)politische Organisation und wissenschaftliche Arbeit
Jeder kann sich sein Bild selbst machen anhand der in ZeitLebensZeiten präsentierten Dokumente, sowie der nachfolgend aufgelisteten Publikationen resp. Rezensionen und Zeitschriftenaufsätzen.
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