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2007 ff.
 

Marie Torhorst

TORHORST Marie-688  wurde am 28. Dezember 1888 in Ledde geboren. Sie starb am 7. Mai 1989 in Berlin(Ost)

Über ihre Geburt schrieb ihre Mutter:

Die Zeit 1888 war ganz besonders schön für mich. [Ich ging wenig hinaus, konnte viel in Ruhe bei [meiner Mutter] sitzen, vieles mit [ihr] bereden, auch im Blick auf dem Winter. Am 28. Dezember wurde [das] kleine Mariechen geboren“. Marie Torhorst starb am 07. Mai 1989 in Lehnitz bei Berlin.

Marie Torhorst ist durch ihr politisches Engagement als Sozialdemokratin, vor allem aber als Kommunistin und erste Ministerin in Thüringen bekannt geworden. Über ihr Leben, ihre Herkunft und ihre politischen Ansichten hat sie selbst in einer Autobiographie sehr ausführlich berichtet. Biographische Literatur über Marie Torhorst ist relativ spärlich, aber durch einen Aufsatz von Wolfgang Buschfort, der sich mit ihrer Tätigkeit als Ministerin in der DDR sowie sehr ausführlich und durch Quellen sehr gut abgesichert auch über ihre Mitarbeit bei der Staatssicherheit befasst hat, sind doch wesentliche Erkenntnisse gewonnen [Auf die Wiedergabe der genauen Quellenangaben und weiterführenden Anmerkungen wurde bei den ausgewählten Zitaten verzichtet]. Die Arbeit Buschforts hat allerdings durch die Zentrierung auf die DDR-Zeit und die kritische Betrachtung ihrer Rolle den Nachteil, dass ihr deutliches Engagement (was ja nicht so sehr häufig festzustellen war) gegen die Nazis und ihre Verfolgung durch die Nazis doch zu  kurz kommt – und damit dann eben auch die Grundlegung für manches Verhalten nach dem Dritten Reich.

So spielt dann das Leben von Marie Torhorst vor dem Hintergrund des Ersten Weltkriegs, der Wirtschaftsdepression, dem Dritten Reich, dem Zweiten Weltkrieg und zuletzt dem Kalten Krieg, in dem sie mit ihrer Schwester Adelheit im Osten (die anderen Geschwister lebten im Westen) den Sozialismus zu fördern und zu verteidigen suchte..
 

Die Jugendzeit

Die Jugendzeit wurde im Zusammenhang mit den Geschwistern in den zur Familie gehörenden Seiten, vor allem aber TORHORST NACHKOMMEN dargestellt, sodaß hier darauf verzichtet werden kann.
 

 Erster Weltkrieg und Weimarer Republik

Wikipedia bietet einen Artikel über Marie Torhorst an, hier ergänzt durch weitere Informationen

„Marie Torhorstwar eine deutsche Politikerin und Pädagogin...Die Tochter eines Pfarrers erwarb ihre Hochschulreife am Oberlyzeum und Lehrerinnenseminar Stift Keppel in Allenbach, studierte Geographie, Mathematik und Physik an der Universität Bonn sowie Betriebs- und Volkswirtschaftslehre an der Universität zu Köln. In Bonn promoviert sie 1918 bei Hans Hahn zum Dr. phil.; ihre Dissertation trug den Titel „Über die Randmenge einfach-zusammenhängender ebener Gebiete“.

Ein Ergebnis der Arbeit ist das sogenannte Torhorst Theorem, das in einem Aufsatz veröffentlicht wurde. Die Dissertation ist verschollen.

Danach bereitete es ihr als Anhängerin der sozialistischen Idee Schwierigkeiten, eine dauerhafte Anstellung zu finden. Nachdem sie als Lehrerin in Bonn gearbeitet hatte, ließ sie sich zur Handelslehrerin weiterbilden und übernahm 1923 die Leitung einer privaten

Handelsschule des Frauenerwerbs- und Ausbildungsvereins in Bremen.

Mit gleichgesinnten Lehrerkollegen richtete Torhorst Abendkurse für Jugendliche ein, die man aus der Volksschule entlassen hatte. Sie trat 1928 der Allgemeinen Freien Lehrergewerkschaft Deutschlands sowie der SPD bei, in der sie sich auf die Seite der internen Opposition schlug.“[Quelle: Wikipedia 2007]

Über diesen Lebensabschnitt von Marie Torhorst informiert die Universität Bonn im Internet:

„Marie Torhorst (1888-1989) hatte nach ihrer Promotion und ihrem Staatsexamen in Bonn aufgrund ihrer sozialistischen Weltanschauung Schwierigkeiten, eine dauerhafte Anstellung zu finden. Nach ihrer Weiterbildung zur Handelslehrerin wurde sie 1923 Leiterin einer privaten Handelsschule des bürgerlich-liberalen "Frauenerwerbs- und Ausbildungsvereins" in Bremen. Mit anderen sozialistisch und kommunistisch gesinnten Lehrkräften rief sie Abendkurse für volksschulentlassene Jugendliche ins Leben. 1928 trat sie der SPD bei, in der sie sich der Parteiopposition anschloß, und wurde Mitglied der "Allgemeinen Freien Lehrergewerkschaft Deutschlands". [Quelle: Lehrgebiet Frauengeschichte, Universität Bonn]
 

An der Karl Marx Schule in Berlin-Neukölln

Wikipedia informiert so:

„Zwischen 1929 und 1933 unterrichtete Torhorst als Studienrätin an der Karl-Marx-Schule in Berlin-Neukölln. Die Karl-Marx-Schule war eine reformpädagogisch geprägte Modellschule, in der unter anderen auch begabte Arbeiterkinder die höhere Reife erlangen konnten

Ein Studienaufenthalt in der UdSSR 1932 hinterließ einen bleibenden Eindruck bei ihr. Die schon länger am Schulsystem der SU interessierte Torhorst stellte ihr politisches und erzieherisches Wirken seitdem konsequent auf die Basis der marxistisch-leninistischen Ideologie.“ [Quelle: Wikipedia 2007]

Die Universität Bonn über Marie Torhorst im Internet:

„1929 wechselte sie als Studienrätin an die Karl-Marx-Schule in Berlin, die Arbeiterkindern das Erlangen der höheren Reife ermöglichte. Sie interessierte sich für alternative Schulkonzepte und Unterrichtsmethoden, besonders für das sowjetische Schulwesen. Seit einem Studienaufenthalt in der Sowjetunion 1932 stellte sie ihre politische und pädagogische Tätigkeit konsequent auf die Grundlage einer marxistisch-leninistischen Weltanschauung." [Quelle: Lehrgebiet Frauengeschichte, Universität Bonn]

Wolfgang Buschfort zeigt in seinem Artikel über Marie Torhorst für die Zeit an der Karl-Marx-Schule die Verbindung zu Stephan Grzeskowiak auf und damit zur späteren Tätigkeit als Mitarbeiterin der Staatssicherheit:

„Marie Torhorst befand sich mit dem Ende der Weimarer Republik im krisengeschüttelten Berlin. Ständiger Wahlkampf, Regierungskrisen und ein Millionenheer an Arbeitslosen prägten die Republik und ganz besonders deren Hauptstadt. Ihre ältere Schwester, seit 1921 Beigeordnete in Düsseldorf, hatte sie 1929 zur Experimentalschule Karl-Marx-Gymnasium vermittelt, damals noch Kaiser-Wilhelm-Realgymnasium und erst 1931 als sozialdemokratische „Kaderschmiede“ in Karl-Marx-Gymnasium umbenannt. Es sollte, finanziert aus Mitteln der Stadt, eine Vorzeigeschule werden, auf der Arbeiterkinder, meist nach abgeschlossener Berufsausbildung, das Abitur ablegen konnten. Marie Torhorst unterrichtete hier Geographie und Geschichte und traf dabei auch auf einen jungen Metallarbeiter namens Stephan Grzeskowiak.  Im Februar 1933, einige Tage nach Hitlers Machtantritt, legte er dort sein Abitur ab, wenig später wurde der Betrieb der Schule eingestellt.“ [Quelle: Wolfgang Buschfort, Marie Torhorst – die erste deutsche Ministerin, in: A.Gawrich/H.J.Lietzmann (Hrsg.) Politik und Geschichte, „Gute Politik und ihre Zeit“ Münster 2005, S. 246 ff.]
 

Im Dritten Reich

Wikipedia resümiert die Zeit sehr knapp:

„Während der Nazi-Diktatur schlug sie sich als Küchenhilfe und kaufmännische Angestellte [u.a. auch als RotKreuz Schwester – siehe Kapitel 28] durch, bis sie 1943 in einem Arbeitslager interniert wurde“ [Quelle: Wikipedia 2007]

Wolfgang Buschfort ist etwas ausführlicher:

„Mit Auflösung der Karl-Marx-Schule wurde Marie Torhorst ab 1933 arbeitslos und lebte von Gelegenheitsarbeiten. So arbeitete die promovierte Lehrerin als Küchenhilfe und als Sprechstundenhilfe im Hygienischen Institut der Berliner Universität. 1936/37 nahm sie einen Job als Aushilfs-Stenotypistin bei der American Express Company an, um dann nach der Absolvierung von Weiterbildungskursen Rot-Kreuz-Schwester zu werden.

Marie blieb im Deutschen Reich und engagierte sich in der NS-Zeit im Widerstand.  Bis 1935 arbeitete sie mit beim Druck illegaler Zeitungen. Wegen der Beherbergung eines jüdischen Jungkommunisten wurde sie 1943 zu acht Wochen Strafarbeitslager verurteilt. Sie überlebte Verfolgung und Bombennächte und trat nach Kriegsende der KPD bei.“ [Quelle: Wolfgang Buschfort, Marie Torhorst – die erste deutsche Ministerin, in: A.Gawrich/H.J.Lietzmann (Hrsg.) Politik und Geschichte, „Gute Politik und ihre Zeit“ Münster 2005, S. 246 ff.]
 

Aufstieg in der DDR

Wikipedia schrieb:

„Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges trat Torhorst zunächst in die KPD, nach deren Zusammenschluss mit der SPD 1946 in die neugegründete SED ein. Bis 1947 leitete sie eine Abteilung im SED-Zentralsekretariat, dann wurde sie zur Thüringer Ministerin für Volksbildung berufen. Dieses Amt, als erste Ministerin Deutschlands, übte sie bis 1950 aus.“ [Quelle: Wikipedia 2007]

Wolfgang Buschfort:

“[Marie Torhorsts Schwester] Adelheid, vor dem Krieg die Engagiertere, die Überzeugtere und die Tonangebende der beiden Schwestern, allerdings vier Jahre älter und sehr kränklich, zog zur Schwester nach Lehnitz und war freie Mitarbeiterin des ML-Instituts. Sie war erst 1949 aus Holland zurückgekehrt und versäumte durch diese späte Rückkehr aus dem westlichen Ausland die ansonsten sehr wahrscheinlichen höheren politischen Weihen.  Dagegen kam es bei der jüngeren Schwester, mittlerweile aber auch schon 57 Jahre alt, zunächst zu einem rapiden beruflichen Aufstieg: Marie Torhorst arbeitete zunächst beim sowjetisch geprägten Berliner Rundfunk, um dann Dezernentin für Lehrerbildung beim Hauptschulamt Berlin zu werden. Damit oblag ihr auch eine Schlüsselfunktion bei der kommunistischen Umgestaltung Nachkriegsdeutschlands: Die Sowjetische Militäradministration ordnete im Dezember 1945 an, dass zonenweit etwa 30.000 Neulehrer ausgebildet werden sollten - in Achtmonatskursen. Marie Torhorst als Leiterin der Abteilung Lehrerbildung des Hauptschulamtes unterstanden die ersten zehn Kurse in Berlin mit insgesamt 2400 Lehramtsaspiranten.
 

Ministerin für Volksbildung

Ende Mai 1947 wechselte sie als Ministerin für Volksbildung nach Thüringen, als erste deutsche Ministerin überhaupt. Sie löste den glücklosen Dr. h. c. Walter Wolf von der SED ab, der sein Ministeramt mit der Leitung des Instituts für dialektischen Materialismus verband. Er sollte stattdessen Dekan einer Sozialwissenschaftlichen Fakultät werden, seine Habilitation war jedoch 1946 von der Universität abgelehnt worden. Marie Torhorst lag die Hochschullehre fern, ihr Interesse galt der Politik.  Kurz nach ihrem Amtsantritt sorgte sie zwar dafür, dass Wolf trotz mangelnder Qualifikation (in seiner Schrift hatte er beispielsweise Ontologie mit Ornithologie verwechselt) Dekan werden konnte.

Doch ihre Hauptaufgabe, von der sie noch Jahrzehnte zehrte, war, die baldige Wiedereröffnung des Nationaltheaters Weimar zu organisieren und das Goethejahr 1949 vorzubereiten.“ [Quelle: Wolfgang Buschfort, Marie Torhorst – die erste deutsche Ministerin, in: A.Gawrich/H.J.Lietzmann (Hrsg.) Politik und Geschichte, „Gute Politik und ihre Zeit“ Münster 2005, S. 246 ff.]  

 

Thomas Mann in Weimar

Marie Torhorst war offensichtlich sehr stolz auf den seinerzeitigen Besuch von Thomas Mann in Weimar.

Von diesem Besuch gibt es ein Bild von Thomas Mann und Marie Torhorst im offenen Wagen, was sie besonders bewahrte.

In den Erinnerungen von Marie Torhorst nimmt der Thomas Mann – Besuch eine besondere Rolle ein. Ihre Erinnerungen sind ein zeitgeschichtliches Dokument::

„Ein Ereignis besonderer Art war der Besuch von Thomas Mann und seiner Frau Katia in Weimar vom 31.Juli bis zum 2.August [1949].

Da Thomas Mann als Emigrant die amerikanische Staatsangehörigkeit erworben hatte, versuchten deutsche und vor allem amerikanische Politiker mit allen Mitteln, seine Reise nach Weimar zu verhindern.  Katia Mann schrieb später darüber. Als Thomas Mann in seiner Goetherede in der Frankfurter Paulskirche erklärte, daß er anschließend nach Weimar fahren werde, hörte ich die Leute um mich herum tuscheln und fragen: Ja, ist er denn ein Kommunist?

Die Reise nach Weimar wurde ihm sehr verübelt. Vom Konsulat in Frankfurt wurden wir auch noch darauf aufmerksam gemacht, daß es natürlich keinerlei Rechte gäbe, einem amerikanischen Bürger zu untersagen, nach Weimar zu gehen. Sie wollten uns nur darauf aufmerksam machen, daß es sehr ungern gesehen würde. Da haben wir gesagt: ‚Na, dann werden Sie es eben ungern sehen’

Im Nationaltheater wiederholte Thomas Mann seine in Frankfurt (Main) gehaltene Goetherede mit einigen Weimar betreffenden Ergänzungen. Vorher war ihm von Oberbürgermeister Buchterkirchen der Ehrenbürgerbrief der Stadt Weimar und von Johannes R. Becher der Goethepreis überreicht worden.  Am Tage vor seiner Abreise fand eine Pressekonferenz statt. Mit großer Bereitwilligkeit und Sorgfalt beantwortete Thomas Mann jede Frage. Eine seiner Antworten schloß er mit den Worten: ‚Weimar war der Abschluß und Höhepunkt meiner europäischen Reise.’

Anschließend gab er einem Redakteur der »Täglichen Rundschau« ein Interview über sein Verhältnis zur russischen Literatur. Dabei sagte er unter anderem: ‚Die Lektüre der großen russischen Epiker des 19.Jahrhunderts war ein Hauptelement meiner literarischen Bildung und ist es bis heute geblieben’ Ich erhielt den Auftrag, Thomas Mann auf seinen Wegen zu den Goethestätten zu begleiten, die er, wie er sagte, so gern besucht hätte, als er in den Jahren 1938/39 - in der Emigration - seinen Roman ‚Lotte in Weimar’ schrieb. Während unserer Gespräche beeindruckte mich, daß er bei seiner ersten Begegnung mit uns Sozialisten ohne Voreingenommenheit bestrebt war, möglichst viele Erfahrungen zu sammeln und sich gründlich über Einzelheiten unseres Lebens und unserer Arbeit zu informieren.

Über die Ergebnisse seines Aufenthaltes bei uns hat Thomas Mann später in Aufsätzen und Briefen ausführlich berichtet. Da mir diese Äußerungen des bedeutendsten bürgerlichen deutschen Schriftstellers unserer Zeit wichtig zu sein scheinen, auch deshalb, weil sie seinen vielzitierten Ausspruch vom Antikommunismus als der ‚Grundtorheit unserer Epoche’ sozusagen illustrieren, möchte ich einige Auszüge wiedergeben.

Er schrieb am 27.August 1949: ‚In der Ostzone habe ich keine schmutzigen Schmähbriefe und blöde Schimpfartikel zu sehen bekommen, wie sie im Westen vorkamen. Habe ich das allein der Drohung BuchenwaIds zu danken - oder einer Volkserziehung, die, eingreifender als im Westen, Sorge trägt für den Respekt vor einer geistigen Existenz wie der meinen?’ ‚Daß ... unsere Fahrt durch Thüringen zu einem Volksfest gestaltet wurde, wie ein Schriftsteller es wohl selten oder nie zu bestehen hatte ... , danke ich einer Sympathie, die ich mir durch ein Bekenntnis zum Kommunismus nie erworben habe.’

Sozusagen als Fazit seiner Erlebnisse schrieb er am 2. Dezember 1949, auf frühere Äußerungen Bezug nehmend: ‚Allerdings habe ich der Tatsache die Ehre gegeben, daß wir in einer Welt leben, deren Zukunft ohne kommunistische Züge längst nicht mehr vorzustellen ist. Auf das Ziel einer Einheitswelt ... strebt ja alles zu, und wenn man sich vor Wortgespenstern nicht fürchtet, so wird man sie kommunistisch nennen müssen.’

Über uns Sozialisten, die Thomas Mann in Weimar kennen lernte, schrieb er - nach einigen freundlichen Bemerkungen zu meiner Person, die ich ihn in Weimar auf seinen Wegen begleitet hatte -: ‚Es liegt ein asketischer Ernst auf diesen Gesichtern, strenge Ruhe, Entschlossenheit und eine der Verbesserung des Irdischen zugewandte Frömmigkeit.’

Den Abschluß der Weimarer Veranstaltungen im Goethejahr bildeten vom 25. bis zum 29.August die Goethefesttage der deutschen Nation. Viele der Anwesenden werden sich dabei an die Weimarer Goethefeier des Jahres 1932 erinnert haben, auf der Thomas Mann mit bewegenden Worten Leben und Werk Goethes gewürdigt hatte, derselbe Thomas Mann, der ein Jahr später von den Faschisten aus Deutschland vertrieben wurde.“ [ Quelle: Marie Torhorst, Erinnerungen, Berlin 1986]


Der Thomas Mann – Besuch war zweifellos der öffentlichkeitswirksamste Auftritt von Marie Torhorst in ihrer Ministerzeit. Ende 1950 wurde das Kabinett umgebildet. Die 62jährige übernahm die Leitung der Großen Chinesischen Kunstausstellung, danach wurde sie Leiterin der Abteilung für Internationale Verbindungen im Ministerium für Volksbildung. Als Mitglied der Schulkommission  beim Politbüro der SED unter Leitung von Kurt Hager – war sie an Diskussionen über das und Entwicklungen des DDR Schulwesens beteiligt.
 

Die Ministerin als Parteipolitikerin

Welche Rolle über die reine Ministertätigkeit hinaus spielt Marie Torhorst im politischen Spiel der DDR? Wolfgang Buschfort berichtet in seinem Aufsatz von 2005 auf der Basis entsprechender Akten in der Stasi-Unterlagen-Behörde

„Auch parteipolitisch übernahm sie [Marie Torhorst] mehr Verantwortung: 1946 wurde die Teilnehmerin des Vereinigungsparteitages von SPD und KPD Leiterin der Abteilung Schule und Erziehung im Zentralsekretariat der SED. Damit war auch ihr Klassenstandpunkt festgelegt, Abweichungen in Richtung Sozialdemokratie gab es nicht mehr. Marie Torhorst sorgte als Volksbildungsministerin beispielsweise für die Entlassung des Jenaer Rektors und Professors für theoretische Physik, Hund, weil dieser Kritik an den Ausbildungsmethoden in den thüringischen Schulen erhob. Der Fall Hund zog weitere nach sich, insgesamt fünf Wissenschaftler verließen Jena, Hund selbst ging an die Universität Frankfurt/Main.  Die unerbittliche Härte im Umgang mit Klassenfeinden musste auch der Jenaer Professor Hans Leisegang erfahren. Er hatte sich der marxistischen Weltanschauung gegenüber resistent gezeigt, kommunistische Studierende machten dies öffentlich.  Torhorst entließ ihn und wunderte sich später, dass er ‚trotz unserer Einladung’ zu der Sitzung nicht erschien, auf der sie diesen Schritt begründete. Tatsächlich hatte Leisegang schon eine studentische „Voll“-Versammlung zu diesem Thema hinter sich, zu der tatsächlich zunächst nur regimetreue Studierende eingeladen worden waren.  Letztendlich hatte diese Sitzung dazu geführt, dass ihm im Sommer 1948 die Prüferlaubnis aberkannt worden war. War es also Naivität der Volksbildungsministerin? Wusste sie nichts vom Internierungslager Buchenwald, ganz in der Nähe der eigenen Landeshauptstadt Erfurt, oder den Tausenden von Häftlingen, die formell wegen nazistischer Umtriebe, tatsächlich aber wegen antikommunistischer Äußerungen in Haft saßen? Bei der Verfolgung Andersdenkender stand sie jedoch insgesamt in der westlichen Wahrnehmung nicht in vorderster Reihe. Das SPD-Ostbüro, das detaillierte Unterlagen über die Unterdrückungsmechanismen in der SBZ/DDR sammelte, verfügt nur über wenige Schriftstücke, die über die Volksbildungsministerin Auskunft geben.

Gelegentlich wird sie von geflüchteten Sozialdemokraten gar als weiterhin zur SPD stehend geschildert - was sicherlich unzutreffend war. Und auch im Standardwerk zur Geschichte der Universitäten in SBZ und DDR taucht sie lediglich einmal in Nebenrollen auf, etwa als Beisitzerin beim Versuch der Sowjetischen Militäradministration, einen Jenaer Studentenratsvorsitzenden zur Rückgabe seines Mandats zu drängen.

Im Januar 1951 wurde Marie Torhorst von Isolde Oschmann als Volksbildungsministerin Thüringens abgelöst, die genauen Hintergründe sind nicht bekannt. Marie Torhorst hat sich hierzu öffentlich nie geäußert. Vielleicht war es schlichtweg eine Generationenfrage, die 62-jährige Torhorst durch eine nicht einmal 40-jährige Genossin zu ersetzen. Die Personaländerung wird ohnehin wenig an der konkreten Politik geändert haben, denn bereits gut ein Jahr später wurde die thüringische Landesregierung mit der Abschaffung der Länderstruktur in der DDR aufgelöst.

Im Februar 1951 übertrug Paul Wandel, Minister für Volksbildung der DDR, der Ministerin a.D. die Leitung einer chinesischen Kunstausstellung. Anschließend wurde sie politische Sekretärin der Internationalen Demokratischen Frauenföderation - beides Verlegenheitslösungen für eine engagierte Frau, die sicher war, mehr leisten zu können - und dies auch wollte. Im Juli 1952 wurde sie im Ministerium für Volksbildung Leiterin der Abteilung für Internationale Verbindungen. Dies bedeutete vor allem die Betreuung ausländischer Delegationen in der DDR, aber auch eine fast uneingeschränkte Reisefreiheit in alle Welt. Hinzu kamen Aufträge kurzfristiger Art, zum Beispiel zur Vorbereitung der „Internationalen Konferenz zum Schutze der Kinder“ im April 1952 in Wien. Zudem wurde Torhorst stellvertretende Vorsitzende des Demokratischen Frauenbundes Deutschlands und Mitglied des Zentralausschusses für Jugendweihe. [Quelle: Wolfgang Buschfort, Marie Torhorst – die erste deutsche Ministerin, in: A.Gawrich/H.J.Lietzmann (Hrsg.) Politik und Geschichte, „Gute Politik und ihre Zeit“ Münster 2005, S. 246 ff.]
 

Mitarbeiterin der Staatssicherheit

Vom 3. Oktober 1953, also an einem Tag, der 37 Jahre später zum Tag der Deutschen Einheit werden sollte, datiert offenbar das erste Dokument, dass Marie Torhorst als Mitarbeiterin der Staatssicherheit ausweist. Wolfgang Buschfort berichtet kommentierend von einem „unrühmlichen“ Kapitel, das hier, wie die anderen wichtigen Stellen, weitgehend zitiert wird, um ein komplettes Bild herzustellen:

„In diese Zeit fallt auch ein unrühmliches Kapitel im Leben der couragierten Frau: Die Mitarbeit beim Staatssicherheitsdienst. Marie Torhorst wurde am 3. Oktober 1953 vom Staatssekretariat für Staatssicherheit (SfS) auf der „kirchlichen Linie“ als Geheime Mitarbeiterin (GM) angeworben (...).  Intern wurde sie als „Edel-GM“ bezeichnet.

Ausgelöst wurde die Verbindung zum SfS durch Torhorsts Westkontakte, die mit der kommunistisch beeinflussten Friedensbewegung der 50er Jahre in der Bundesrepublik in Zusammenhang standen: „Ein gewisser Eitel“, angeblich Benediktinerpater aus Westdeutschland, ließ Frau Torhorst Grüße von Frau Prof Faßbänder überbringen, die sie auf dem Weltfriedenskongress in Wien kennen gelernt hatte (...). Später schienen dem SfS vor allem angebliche Grüße des SPD Bundestagsabgeordneten Prof. Bergsträßer attraktiv. Kurze Zeit später erhielt Torhorst von Pater Eitel Broschüren, deren Inhalt „sozialdemokratische Tendenzen enthielten“, was am 26. September 1953 zu einer Aussprache mit dem SfS führte.

Dabei versicherte sie das SfS ihrer weiteren Mitarbeit und verwies darauf, dass ihre Westkontakte nur auf Wunsch des Genossen Wandel zustande kamen (...).

Als Pater Eitel am 21. Januar 1954 in Erfurt inhaftiert wurde (angeblich wegen der Beleidigung einer Volkspolizistin), wandte sich dessen Mutter an Marie Torhorst, von der der Sohn ‚mit besonderer Hochachtung (...) sprach’ (...). Was die Mutter - und auch der Sohn - wohl nicht wussten war, dass die Verhaftung ursächlich mit seinen Besuchen bei der ehemaligen Volksbildungsministerin in Verbindung stand. Marie Torhorst ließ sich nicht erweichen, eine entlastende Aussage zu machen oder zumindest eine Bitte an die Anstaltsleitung zu senden, um die Einzelhaft zu beenden. Der Mutter teilte die Pastorentochter mit, dass nach ihrer Erfahrung Mütter zumeist die Welt, in der ihre Söhne sich bewegen und handeln, nicht kennen, was sie bereits als Volksbildungsministerin zwischen 1947 und 1949 bei den Müttern inhaftierter Oberschüler in Thüringen feststellen musste (...).

1958, zum 70. Geburtstag, erhielt „GI Sofie“ vom SfS einen Präsentkorb „im Werte von 75,- DM“, da sie „alle ihr gestellten Aufgaben vorbildlich“ erfüllte und „ein reges Interesse für unsere Arbeit“ zeigte (...). Aufgrund ihres hohen Alters war eine konspirative Zusammenarbeit ein Jahr später nicht mehr möglich. Doch ,,’Sofie’ wird weiterhin offiziell aufgesucht und ausgenutzt“, vermerkte Oberfeldwebel Hüther (...).

So gab sie Stimmungsberichte aus der Nachbarschaft und der Nationalen Front ab, aber auch Ratschläge für eine bessere Rundfunkarbeit, um gegen den RIAS bestehen zu können (...). Gleichzeitig waren nahe Verwandte Ausforschungsobjekt, so ihr Cousin Prof. Rudolf Smend, Kirchenrechtler in Göttingen (...).  Dem MfS empfahl sie, bestimmte Bücher vernichten zu lassen, sie teilte Probleme bei der Kartoffel-Versorgung mit und empfahl Produktions-Umstellungen in einem Rundfunkwerk, da mit den dort gebauten Geräten „der RIAS gehört und auch die Lügen weiterverbreitet werden“ (...).   Zudem wurde sie zu ihrer Bekanntschaft zu Wolfgang Leonhardt befragt.(...)

Marie Torhorst und Stephan Grzeskowiak [siehe oben] begegneten sich erneut an der Berliner Hochschule für Politik, wo sie 1935 Vorträge über das Leben in der Sowjetunion hielt und er studierte. Ganz dem Duktus des Kalten Krieges verfallen, schrieb sie später in ihren Erinnerungen über diese Begegnung: „Ich lernte in der Hochschule junge Nazifunktionäre kennen, die sich auf etwaige spätere ‚Ostaufträge’ vorbereiten sollten. Dort traf ich auch das mir von Neukölln her bekannte SPD-Mitglied polnischer Herkunft. Stefan [...] Grzeskowiak war ausgemachter Nationalist. Bei Gelegenheit privater Gespräche führte ich heftige Diskussionen mit ihm“....

Dieser Kontakt war von politischer Bedeutung, denn im Perspektivplan der Staatssicherheit vom 1. Februar 1955 wurde festgelegt, wie man an genauere Informationen über den mittlerweile zum Leiter des SPD-Ostbüros in Bonn avancierten Stephan Grzeskowiak alias Stephan Thomas gelangen könnte. 1956 erhielt das MfS durch den polnischen Geheimdienst genauere Informationen über den mittlerweile seit neun Jahren im Ostbüro arbeitenden Stephan Thomas: ‚In Zukunft werden wir uns bemühen, die Informationen über Thomas und das Ostbüro zu erweitern und zu vertiefen’ (...), heißt es in den Unterlagen der Staatssicherheit. Darauf aufbauend konzentrierte sich die Hauptabteilung V/2 auf das Aufspüren alter Jugendfreunde von Grzeskowiak, um eine „operative Basis“ für eine „Weiterbearbeitung des Vorganges“ (...) zu finden.

Als ehemalige Lehrerin sollte Marie Torhorst, unter dem Namen „Sofie“ (...) als Geheimer Mitarbeiter (GM) bzw. Geheimer Informant (GI) der Hauptabteilung V/4 der Staatssicherheit, um Informationen angegangen werden. Da die HA V/4 den direkten Kontakt zur ehemaligen Kultusministerin verweigerte, musste ein Fragebogen ausgearbeitet werden, der dann Frau Torhorst von ihrem zuständigen Führungsoffizier übergeben wurde. Dass beide sich schon seit 1929 kannten, und dass sie auch wusste, dass Grzeskowiak Sozialist am linken Rand der SPD und Arbeiterabiturient war, hat sie dabei verschwiegen.“  [Quelle: Wolfgang Buschfort, Marie Torhorst – die erste deutsche Ministerin, in: A.Gawrich/H.J.Lietzmann (Hrsg.) Politik und Geschichte, „Gute Politik und ihre Zeit“ Münster 2005, S. 246 ff.] 
 

Die späten Jahre

Von 1958 bis 1965 lehrte Marie Torhorst am Deutschen Pädagogischen Zentralinstitut, wo sie Leiterin der Auslandsabteilung geworden war, ab 1962 auch als Professorin. 1964 mit 76 (!)Jahren schied sie aus dem aktiven Dienst aus, blieb aber Freie Mitarbeiterin der Akademie der Pädagogischen Wissenschaften der DDR, die aus dem Zentralinstitut hervorgegangen war. Sie übersetzte Werke französischer und englischer Pädagogen sowie Dokumente der UNESCO, deren offizielles Mitglied sie 1972 (mit 82 Jahren!) wurde. Nach und nach verlegte sich Marie Torhorst aufs Schreiben, was ihr zunehmend mehr Spaß machte

Marie Torhorst war eine eifrige Briefschreiberin. Mit der Familie im Westen hielt sie Kontakt, vieles aus dem Briefwechsel ist zu persönlich bzw. fällt noch unter die 30jährige Schutzfrist. Unermüdlich erklärte sie ihre Arbeit, ihre Leistung, viele lange, getippte Briefe sind überliefert. Einige wenige Beispiele, die auch Bezüge zu ihrer Politik, ihren Grundauffassung und zu ihrer Kindheit haben:

16.6.1968:

688+2


23.10.1979

688+1


18.11.1980 im Vorwege der 1982 erfolgten Benennung einer neugebauten Polytechnischen Oberschule in Oranienburg zur “Torhorstschule” zur Würdigung der Geschwister Adelheid und Marie Torhorst.

688+3


Am 28.12.1988 wurde Marie Torhorst 100 Jahre alt

688+4

688+5

Marie Torhorst starb am 7. Mai 1989

688+6

 

688+8

 

688+7

Wolfgang Buschfort in seiner abschließenden Würdigung des Lebens von Marie Torhorst:

 „Marie Torhorst starb am 7. Mai 1989 im 101. Lebensjahr, versehen mit Nachrufen des Zentralkomitees der SED und des Volksbildungsministeriums. Den demokratischen Aufbruch in ihrem Staat hat sie nicht mehr miterlebt. Wenig später war sie auch in der wissenschaftlichen Literatur vergessen; die biografische Literatur über die DDR führt die erste deutsche Ministerin nicht auf. Bleibende politische Spuren hatte sie auch früher nicht hinterlassen, das DDR-Standardwerk „Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung von 1945-1963“ (Institut für Marxismus-Leninismus 1966) aus dem Jahr 1966 erwähnte Marie Torhorst in keiner ihrer Funktionen.

Mag sie inzwischen auch weitgehend vergessen sein und ihre politische Leistung sich kaum von anderen durchschnittlichen Funktionären in SED und DDR unterscheiden, so ist sie doch als erste Ministerin in Deutschland in dieser frühen Nachkriegsphase eine Wegbereiterin der Gleichberechtigung.“ [Quelle: Wolfgang Buschfort, Marie Torhorst – die erste deutsche Ministerin, in: A.Gawrich/H.J.Lietzmann (Hrsg.) Politik und Geschichte, „Gute Politik und ihre Zeit“ Münster 2005, S. 246 ff. ]

 

Sechs Monate nach dem Tod von Marie Torhorst fiel nicht zuletzt aufgrund der Proteste der DDR-Bewohner die Mauer. Der sozialistische Staat, den Marie Torhorst immer gewollt hatte, fiel in sich zusammen. Den danach folgenden Zusammenbruch der alten Sowjetunion erlebte sie also ebenfalls nicht mehr. Die Zeit ihres bewussten politischen Lebens ab der Studienzeit in Bonn bis ins Altersheim in Berlin umfasste mithin die Entstehung und -  von ihr wohl nicht wirklich wahrgenommen – den Zusammenbruch der von ihr propagierten Ideen und ihrer staatlichen Realisierungen.

Wohl aus Altersgründen waren von ihr diese Zerfallserscheinungen tatsächlich auch nicht mehr wahrnehmbar. Hinzu kommen aber wohl auch ihre Vorprägungen, auf die sie selbst ja durchaus stolz war: Von der christlichen Prägung zum wissenschaftlichen Sozialismus. Das aber bedingte vielleicht einen sehr großen Idealismus, einen fast missionarischen Eifer durchaus gepaart mit der dafür unverzichtbaren Eitelkeit und Ehrgeiz und mit einer – trotz eigener Ministertätigkeit -   doch vorhandenen und aus den Briefen erkennbaren Blindheit für die machtpolitischen Spiele und Verwerfungen in ihrem Staat. Ihre Briefe zeugen von all diesen Faktoren.

Ihre unglaubliche Agilität und ihr nie erlöschendes Engagement für ihre Sache waren ausserordentlich.